Über die nichteuklidische Interpretation der Relativtheorie

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Autor: Vladimir Varićak
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Titel: Über die nichteuklidische Interpretation der Relativtheorie
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aus: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. 21, 1912, S. 103–127
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Erscheinungsdatum: 1912
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Über die nichteuklidische Interpretation der Relativtheorie.
Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung zu Karlsruhe.
Von Vladimir Varićak in Agram.


Daß sich durch die Aufstellung der Relativitätstheorie in der Physik ein ähnlicher Prozeß vollzogen hat wie in der Geometrie, als die nichteuklidische – speziell Lobatschefskij-Bolyaische – Geometrie ans Licht kam, mag wohl mancher geahnt haben. Es ist nämlich sehr bemerkenswert, daß einige Autoren bei der Auslegung der Relativitätstheorie auch die nichteuklidische Geometrie erwähnen, ohne ihr für die Beschreibung des Naturgeschehens irgendwelchen Wert beizulegen. Manche sprechen ihr in dieser Beziehung geradezu jeden Wert ab, wie z. B. Lewis, der die nichteuklidischen Geometrien als bloße logische Übungen, ohne jede physikalische Bedeutung betrachtet.[1] Und Wien, nachdem er in seinem Vortrage „Über die Wandlung des Raum- und Zeitbegriffs in der Physik“ die zahlreichen Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie erwähnt hat, fährt so fort: „Es ist nun merkwürdig, daß im Gegensatz zu diesen auf rein spekulativem Wege gewonnenen Erkenntnissen sich induktiv aus der experimentellen Physik heraus die Möglichkeit einer neuen Raum- und Zeitanschauung langsam Bahn gebrochen hat. Allerdings hat diese mit der nicht-euklidischen Geometrie keine direkten Berührungspunkte[2] Ich will nur noch Planck erwähnen, nach dessen Meinung die relativistische Auffassung des Zeitbegriffs „an Kühnheit alles übertrifft, was bisher in der spekulativen Naturforschung und philosophischen Erkenntnistheorie geleistet wurde; die nichteuklidische Geometrie, die bisher nur für die reine Mathematik in Betracht käme, wäre ein Kinderspiel dagegen.“[3]

Der Zweck meines Vortrages ist nun zu zeigen, daß die Lobatschefskijsche Geometrie das adäquate Instrument zur Behandlung der Relativitätstheorie zu sein scheint. Die Analogie zwischen diesen zwei Gebieten ist mir aufgefallen, bevor ich noch durch den Minkowskischen Kölner Vortrag zum eingehenderen Studium der Einsteinschen Arbeit geführt wurde. In einem Vortrage über die erste Periode in der Entwicklung der nichteuklidischen Geometrie[4] erwähnte ich auch die Untersuchungen über das zulässige Krümmungsmaß des Raumes bzw. über die Länge der absoluten Einheitsstrecke des hyperbolischen Raumes. Alle Längen, mit denen wir zu tun haben, verschwinden gegen diese Einheitsstrecke, und deswegen reduzieren sich in den Gebieten unseres Erfahrungsraumes die Formeln der Lobatschefskijschen Geometrie auf die Ausdrücke der gewöhnlichen, euklidischen Geometrie. Um das Verhältnis dieser Geometrien durch eine Analogie aus der Physik begreiflicher zu machen, verwies ich auf das Verhältnis der Mechanik der Elektronen zur Newtonschen Mechanik. Die Gesetze jener allgemeinen Mechanik reduzieren sich für kleine Geschwindigkeiten auf die Gesetze der klassischen Mechanik; ebenso nähern sich die Formeln der hyperbolischen Geometrie asymptotisch den Formeln der euklidischen. Später fielen mir einige weitere, freilich rein äußerliche Ähnlichkeiten auf. Die Lorentz-Kontraktion schien mir eine Analogie zu bilden zur Deformation der Längen in einer sehr bekannten Interpretation der Lobatschefskijschen Geometrie, wo die Geraden durch Halbkreise dargestellt werden, und das Linienelement in der Form genommen wird. Im allgemeinen kann dieses Linienelement ohne Deformation nicht bewegt werden. Dies führte mich auf die Vermutung, ob sich die Lorentz-Kontraktion nicht als eine Folge der geometrischen Anisotropie des Raumes deuten ließe? In der Relativitätstheorie gilt nicht das Parallelogramm der Geschwindigkeiten; in der Lobatschefskijschen Geometrie gibt es überhaupt keine Parallelogramme. In der Relativitätstheorie, die das Absolute aus der Physik verbannt hat, existiert eine absolute Geschwindigkeit , in der Lobatschefskijschen Geometrie eine absolute Länge usw. Es überraschte mich nicht, daß sich auch in der Entwicklungsgeschichte dieser zwei Gebiete Analogien zeigten. In beiden Fällen kämpft man um die Werte gewisser Parameter, denen man nach den älteren Theorien einen unendlichen, nach den neueren dagegen einen endlichen Wert beizulegen hat. In der Entwicklungsgeschichte der nichteuklidischen Geometrie ist mancher scheinbare Widerspruch aufgestellt worden, ebenso wie man auch in der Relativitätstheorie Widersprüche zu finden vermeinte.

Dies alles führte mich dazu, die Einsteinschen Formeln zu transformieren und nichteuklidisch zu deuten. Es erschien unterdessen die Sommerfeldsche Arbeit, in der gezeigt wurde, daß für die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten in der Relativtheorie die Formeln der sphärischen Trigonometrie mit imaginären Seiten gelten[5]. Nun ist die hyperbolische Geometrie das imaginäre Gegenbild der sphärischen, wie es schon Lobatschefskij und Bolyai gewußt haben. Da war ich sicher, daß sich der hyperbolischen Geometrie in der Relativitätstheorie ein interessantes Anwendungsgebiet eröffnet hat. Meiner ersten diesbezüglichen Mitteilung in der Physikalischen Zeitschrift folgten bald noch zwei weitere.[6] Ich gab in denselben die nichteuklidische Interpretation fertiger Formeln der Relativitätstheorie. Nachher schlug ich den umgekehrten Weg ein.[7] Ich setzte meinen Überlegungen die Annahme zugrunde, daß die Erscheinungen in einem Lobatschefskijschen Raume vor sich gehen, und erhielt durch sehr einfache geometrische Schlüsse die Formeln der Relativitätstheorie. Das Resultat meiner Untersuchung läßt sich dahin aussprechen, daß, unter Zugrundelegung der nichteuklidischen Terminologie, die Formeln der Relativitätstheorie nicht nur wesentlich vereinfacht werden, sondern daß sie auch eine geometrische Deutung zulassen, die ganz analog ist der Interpretation der klassischen Theorie in der euklidischen Geometrie. Und diese Analogie geht manchmal so weit, daß man auch den Wortlaut der Theoreme der klassischen Theorie unverändert lassen kann, nur muß man die euklidischen Gebilde durch die entsprechenden Gebilde des Lobatschefskijschen Raumes mit dem Parameter cm ersetzen.


I. Definition und graphische Darstellung der Geschwindigkeiten. Die Lichtgeschwindigkeit spielt in der Physik die Rolle der unendlich großen Geschwindigkeit. Sie kann durch Häufung von Unterlichtgeschwindigkeiten nicht erreicht werden; sie kann auch durch Addition oder Subtraktion einer Unterlichtgeschwindigkeit nicht verändert werden. Nun kann man durch geeignete Definition der Geschwindigkeit leicht erreichen, daß die Lichtgeschwindigkeit durch eine unendliche Größe repräsentiert wird. Als Längeneinheit nehmen wir cm, d. h. den Weg des Lichtes in einer Sekunde, und setzen dann

(1)

Der Geschwindigkeit ordnet man die Strecke von der Maßzahl nach der Relation

(2)

zu. Nach englischer Schreibweise bedeutet dies die inverse Funktion des hyperbolischen Tangens. Wir wollen nun untersuchen, ob diese Festsetzung nicht in einem zu schroffen Gegensatze zur gewohnten Veranschaulichung der Geschwindigkeiten steht. Als Repräsentanten von Geschwindigkeiten gleichförmiger Bewegungen benutzt man in der klassischen Mechanik die mit den betreffenden Geschwindigkeiten proportionalen Strecken. In den Grenzen unserer gewöhnlichen Erfahrung führt die Formel (2) zu demselben Resultate. Erst bei den Geschwindigkeiten, die mit der Lichtgeschwindigkeit einigermaßen vergleichbar sind, zeigt sich ein merklicher Unterschied, der dann schnell zur unendlichen Verzerrung führt.

Wir haben gesetzt

(3)

Nehmen wir jetzt zuerst km/sek, dann ist

Wenn wir alles nach dem ersten Gliede auf der rechten Seite vernachlässigen, so begehen wir einen Fehler, der nicht einmal auf die zehnte Dezimale Einfluß üben würde. Man hat also auch bei unserer Festsetzung für die Geschwindigkeit von 1 km/sek., die Strecke von 1 km zum Repräsentanten.

Nimmt man dann die in der gewöhnlichen Mechanik jedenfalls außerordentlich große Geschwindigkeit von 100 km/sek., so wird

und die repräsentierende Strecke ist beiläufig um 3 mm größer als 100 km. Praktisch ist also der Unterschied gar nicht bemerkbar. Der Geschwindigkeit von 100000 km/sek. entspricht die Strecke von 103990km, und das ist schon ein ziemlicher Unterschied. Ziehen wir noch zwei Geschwindigkeiten von -Strahlen in Betracht, die in dem berühmten Kaufmannschen Versuche berechnet wurden und denen die Geschwindigkeitsverhältnisse 0.7202 und 0.9326 entsprechen. Sie betragen etwa 216060 und 279780 km/sek. und werden repräsentiert durch die Strecken von 272400 und 503400 km.

Für hat man , also .

In graphischer Darstellung lassen sich diese Verhältnisse sehr leicht überblicken. Nimmt man als Abszisse und als Ordinate, so wird (2) durch die Kurve dargestellt. Der gewöhnlichen Festsetzung entspricht die Gerade bzw. das erste Glied in der unendlichen Reihe (3). Diese Gerade ist die Inflexionstangente von in 0; schmiegt sich also der Kurve in ziemlich weiter Umgebung des Koordinatenanfangspunktes gut an.

Es wäre angezeigt, für die Strecke einen Namen einzuführen. In meiner zitierten serbischen Arbeit habe ich sie Pseudogeschwindigkeit benannt. Am einfachsten wäre es wohl, und schlechtweg als (physikalische) Geschwindigkeit zu bezeichnen und die reduzierte Geschwindigkeit zu nennen. Solange sie klein sind, kann man sie praktisch gar nicht unterscheiden. Die Pseudogeschwindigkeit des Lichtes ist unendlich groß. In dieser Festsetzung erscheint es uns ganz natürlich, daß die Lichtgeschwindigkeit die obere Schranke für Geschwindigkeiten bildet.[8]


2. Das Einsteinsche Additionsgesetz der Geschwindigkeiten. Auch in der Relativtheorie gilt die Vektoraddition der Geschwindigkeiten. Nur hat man die Komponenten graphisch so darzustellen, wie eben auseinandergesetzt wurde, und bei der Berechnung der Resultante sich der Lobatschefskijschen Trigonometrie zu bedienen.

Es seien und zwei Geschwindigkeiten, die miteinander den Winkel einschließen. Es entsprechen ihnen die Strecken mit den Maßzahlen nach den Relationen

(4)

Man trage vom Punkte in der Richtung von die Strecke ab und setze unter dem Winkel die Strecke an. Der Resultante entspricht die Strecke . In dem Lobatschefskijschen Dreiecke besteht die Relation

(5)

Setzt man hierin

(6)

so erhält man

und nach einigen Umformungen

Daraus folgt schließlich

(7)

und dies ist das Einsteinsche Additionsgesetz der Geschwindigkeiten. In vektorieller nichteuklidischer Bezeichnung kann man es schreiben in der Form

(8) ,
also ebenso wie in der klassischen Theorie, deren Formel

nur in der ersten Annäherung gültig ist, da man nur für kleine Geschwindigkeiten setzen darf. Sind und klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit, so kann man das letzte Glied im Zähler und im Nenner des Ausdruckes (7) vernachlässigen, und man erhält die gewöhnliche Formel

(9)

Nimmt man den Parameter unseres Lobatschefskijschen Raumes unendlich groß, so geht er in den euklidischen Raum über, und die Formel (7) reduziert sich genau auf (9). Schließen die Geschwindigkeiten und den Winkel ein, liegen sie also in der gleichen Richtung, so ist nach (5)

(10)

Die resultierende reduzierte Geschwindigkeit folgt aus der Formel

oder

(11)

Die Resultante ist zwar im arithmetischen Sinne kleiner als die Summe der Komponenten, aber sie wird doch dargestellt ebenso wie in der klassischen Mechanik durch eine Strecke, welche der Summe der die Komponenten darstellenden Strecken gleichkommt. Komponiert man zwei gleiche Geschwindigkeiten in gleicher Richtung, so wird die Resultante durch die Strecke repräsentiert.

Zur Substitution (1), die mir den Weg zur nichteuklidischen Interpretation der Relativtheorie gebahnt hat, will ich bemerken, daß Minkowski einmal[9]

(12)

gesetzt, d. h. das Geschwindigkeitsverhältnis als ein Tangens hyperbolicus ausgedrückt hat, aber er beachtete nicht weiter das mittlere Glied in dieser Relation. Auch Herglotz hat die Überzeugung ausgesprochen, daß die nichteuklidische Geometrie bei der Zusammensetzung von Geschwindigkeiten mit Nutzen verwendet werden kann.[10] Kürzlich hat nun Robb eine interessante Arbeit publiziert[11], in der er auf einem eigentümlichen Wege zu Resultaten gekommen ist, die ich schon früher veröffentlicht habe. Auf Seite 9 sagt er nämlich: „If be the absolute velocity of the particle with respect to the system, then the inverse hyperbolic tangent of will be spoken of as the rapidity. Thus if be the rapidity,

As increases from 0 to ∞, increases from 0 to 1. For small values of w, practically, velocity is equal to rapidity, but we shall see latter that, for large values, it is the rapidity and not the velocity which follows the additive law." Dann auf S. 29: "Thus instead of a Euclidean triangle of velocities, we get a Lobatschefskij triangle of rapidities. For small rapidities, however, we may identify rapidity and velocity, and the Lobatschefskij triangle may be treated as an Euclidian one. It is also seen that rapidities in the same straight line are additive."

Die Verschiedenheit der Wege, auf denen man zu denselben Resultaten gelangt ist, erhöht das Vertrauen zu ihnen.


3. Die Addition der Geschwindigkeiten ist nicht kommutativ. In der Lobatschefskijschen Geometrie gibt es keine Parallelogramme; die Resultante zweier Geschwindigkeiten kann man also nicht als die Diagonale eines Parallelogramms darstellen. Die Nichtvertauschbarkeit der Komponenten ist die Folge davon. Wegen der Einfachheit nehmen wir zwei Geschwindigkeiten unter dem Winkel . Aus der Formel (5) erhalten wir

(13)

woraus leicht gefolgert wird

oder

(14)

In der Figur 3 haben wir

In der hyperbolischen Geometrie ist die Summe der Winkel in jedem Dreiecke kleiner als zwei rechte. In dem Dreiecke ist also

Tragen wir aber die Strecke in der Richtung normal zu ab und setzen dann unter dem rechten Winkel die Strecke an, so kommen wir zum Punkte , der von verschieden ist. In der älteren Mechanik fallen diese Punkte zusammen. Komponiert man also die Geschwindigkeiten in der umgekehrten Reihenfolge, so erhält man die Resultante von derselben Größe, aber verschiedener Richtung. Den Richtungsunterschied

(15)

kann man laicht als eine Funktion der Komponenten darstallen.

Führt man in die Formel

die aus dem Lobatschefskijschen Dreiecke entnommenen Werte

ein, so erhält man

(17)

Zufolge von (1) und (6) geht dies über in

(18)

Wir wollen dies noch anders ausdrücken. Der Richtungsunterschied der Resultanten ist gleich dem Defekt des Dreiecks . Der Inhalt eines Lobatschefskijschen Dreiecks ist gleich seinem Defekt. Nach der bekannten Formel[12] für den Defekt kann man setzen

(19)

oder

(20)
Es wäre nicht schwer, auch hier die reduzierten Geschwindigkeiten einzuführen, wie auch die Abweichung der Resultanten zu berechnen im allgemeinen Falle, wo die Komponenten einen beliebigen Winkel untereinander einschließen.

Komponiert man im Raume drei unter sich normale Geschwindigkeiten, so kommt man zu sechs Resultanten verschiedener Richtung.

In der Geometrie von Lobatschefskij bestehen nicht ähnliche Figuren. Andererseits besteht in der Relativitätstheorie die kinematische Ähnlichkeit nicht. Wenn man alle Komponenten mit einer Zahl multipliziert, so wird nach der älteren Theorie auch die Resultante -mal größer, in der Relativitätstheorie aber nicht. Man müßte also hier die Kräftepläne wie dort alle Figuren in der absoluten Größe zeichnen. Da aber die Streckeneinheit zu groß ist, kann man in beiden Fällen nur schematische, verzerrte Abbildungen geben.


4. Die Weierstraßschen Koordinaten. Als Längeneinheit nehmen wir 1 cm, also den -ten Teil der absoluten Einheitsstrecke unseres Lobatschefskijschen Raumes. Die Zeiteinheit wollen wir so bemessen, daß die Lichtgeschwindigkeit gleich Eins wird, d. h. daß im ruhenden Mittel das Licht die Längeneinheit (1 cm) in der Zeiteinheit durchläuft.[13] Wir bezeichnen die neue Zeit, die also aus der alten durch Multiplikation mit der Lichtgeschwindigkeit hervorgeht, im ruhenden Mittel gemessen, mit . Die Uhr, die bei unsern Überlegungen in Betracht zu ziehen ist, wollen wir nicht in der gewöhnlichen Weise eingerichtet denken, sondern als einfaches Zählwerk, welches angibt, wie oft ein gewisser, immer unter den gleichen Umständen sich wiederholender Vorgang seit einem bestimmten, den Anfang der Zeitrechnung kennzeichnenden Ereignis abgelaufen ist.[14] Demgemäß drücken wir die Zeitangabe einer bestimmten Uhr immer durch eine einzige Zahl aus.

Ein elementares Ereignis wird bestimmt durch das Wertsystem . Ich fasse die Bestimmungsgrößen jenes Ereignisses oder die Veränderlichen als homogene Weierstraßsche Koordinaten eines Punktes im Lobatschefskijschen dreidimensionalen Raume auf.’

Nehmen wir zuerst den einfacheren Fall, daß ist.

Durch den Punkt (Fig. 4) legen wir zwei, zu den Koordinatenachsen normale Grenzkreisbogen und . Die Längen dieser Bogen und der hyperbolische Kosinus des Fahrstrahles sind Weierstraßsche Koordinaten des Punktes . Fällt man vom Punkte die

Lote und auf die Koordinatenachsen, so sind die Lobatschefskijschen Koordinaten von

Die Weierstraßschen sind

oder

(21)

Aus dem dreirechtwinkligen Vierecke erhält man

weiters ist

(22)

und so sind die Weierstraßsehen Koordinaten ausgedrückt mittels der Lobatschefskijschen.

Im allgemeinen Falle haben wir die Fig. 5. Sind die Fußpunkte der drei Lote von auf die Koordinatenebenen, so sind

die Lobatschefskijschen, und

(23)

die Weierstraßschen Koordinaten des Punktes .

Aus dem Vierecke hat man[15]

während man aus die Gleichung

erhält. Aus diesen zwei Relationen erhält man den Ausdruck für . Aus dem Vierecke findet man leicht den Wert für . Die Grenzkreisbogen , und sind unsere und . Man findet weiters

also

und endlich

(24)

Diese Relation besteht zwischen den Weierstraßschen Koordinaten eines jeden Punktes. Es ist bekannt, Welche Rolle diese Invariante in der Minkowskischen vierdimensionalen Interpretation der Relativitätsteorie spielt.


5. Die Lorentz-Einsteinsche Transformation. Die Galilei-Newtonsche Transformation

(25)

stellt die Translation längs der -Achse im Euklidischen Raume dar. Die Lorentz—Einsteinsche Transformation

(26)

läßt sich ganz analog deuten als Translation längs der -Achse im Lobatschefskijschen Raume.


Verbleiben wir in der Ebene, so können wir sagen: Die Lorentz-Einsteinsche Transformation definiert eine Bewegung längs der Abstandslinien, welche die -Achse zur Mittellinie haben.[16]

Die Abstandslinie ist der Ort der Punkte, die von der -Achse die konstante Entfernung haben. Die Länge ihres Bogens zwischen zwei Punkten und ist (Fig. 6)

(27)

Die Schiebung um die Strecke längs dieser äquidistanten Linie im negativen Sinne ist gegeben durch die Gleichungen:

(28)

Für den Übergang vom Punkte nach hat man

oder

(29)
Hieraus ersieht man die Gruppeneigenschaft der Schiebungen längs der Abstandslinie.

Es sei die Projektion des Bogens in die -Achse, dann ist

(30)

also

(31)

Durch Multiplikation der ersten Gleichung mit erhält man

(32)

Nach der Fig. 6 ist weiter

oder

d. h.

(33)

Bis jetzt haben wir Lobatschefskijsche Koordinaten angewandt; wollen wir zu den Weierstraßschen übergehen, so müssen wir die Transformationsformeln (22) berücksichtigen. Mit ihrer Hilfe kann man die Gleichungen (32) und (33) auf die Form

(34)

bringen. Setzt man hierin nach der Formel

und ‚ so erhält man sofort die Lorentz-Einsteinsche Transformation in der gewöhnlichen Gestalt (26). Wir wollen sie aber immer in der Form (34) gebrauchen. Wir sehen also in der Tat, daß die durch eine gleichförmige Bewegung, von der Geschwindigkeit , bedingte Raumzeittransformation durch die Translation des ein elementares Ereignis repräsentierenden Punktes vollständig charakterisiert wird. Die inverse Transformation ist

(35)
Infinitesimale Form der -Transformation ist
(36) .

Die Invarianten erster Art sind

(37) ,

da ist. Es sind dies die Abstandslinien .[17]

Die Invarianten zweiter Art sind die Normalen zur -Achse

(38) ,

denn es ist

.

In den Lobatschefskijschen rechtwinkligen Koordinaten ist die Gleichung dieser Normalen .

Im Raume erhält man die Abstandslinien, welche die -Achse zur Mittellinie haben, als Durchschnittslinien zweier Abstandsflächen

.

Ihre Mittelebenen sind die Koordinatenebenen und .

Die -Transformation (34), zu der noch die Gleichung hinzukommt, läßt sich deuten als eine Translation längs der Durchschnittslinie dieser zwei äquidistanten Flächen. Die Bahnkurve eines Punktes eines starren Körpers bei der Translation längs der -Achse ist die Abstandslinie zur -Achse. Die Querdimensionen des Körpers bleiben bei dieser Schiebung unverändert.

Nehmen wir den Parameter , so geht der Lobatschefskijsche Raum in den Euklidischen über; die Grenzkreisbogen werden zu geradlinigen Strecken ——— Weierstraßsche Koordinaten verwandeln sich in gewöhnliche Cartesische Koordinaten, jene Abstandslinien werden Parallelen zur -Achse; die Transformation (34) oder (26) geht in (25) über.


6. Transformation des Zeitparameters. Von zwei Beobachtern, die sich mit gleichförmigen, aber verschiedenen Geschwindigkeiten auf parallelen Bahnen bewegen, kann jeder mit genau dem nämlichen Rechte behaupten, daß er ich in bezug auf den anderen in Ruhe befindet. Ins Geometrische übertragen heißt das, daß wir jeden Punkt der Ebene auf Ruhe transformieren können, indem wir ihn auf ein neues Koordinatensystem beziehen. Aus dem betreffenden Punkte fälle man die Normale auf die -Achse und nehme diese Normale zur neuen Ordinatenachse. Nimmt man z. B. die durch gehende Normale, so ist das Koordinatensystem , in dem sich der Beobachter in Ruhe wähnt. Verlegt man aber den Koordinatenanfangspunkt nach , nimmt man also zum Fundamentalsystem , so werden dadurch und alle Punkte der neuen Ordinatenachse auf Ruhe transformiert. Durch diese Transformation ändert sich aber auch der Zeitparameter.

Die Zeiteinheit des Beobachters in einem bestimmten Punkte soll dargestellt werden durch den hyperbolischen Kosinus der Lobatschefskijschen Abszisse jenes Punktes. Die Zeiteinheit des Beobachters in oder in ist im ungestrichenen System gleich „1“, während die Zeiteinheit des Beobachters in gleich wird, wenn man setzt. Dem in ruhenden Beobachter scheint es, daß die mit der Geschwindigkeit bewegte Uhr gegenüber seiner im Verhältnis zurückbleibt. Bei der Bewertung der Dauer eines Ereignisses mittels der bewegten Uhr wird der ruhende Beobachter eine kleinere Zahl finden. Es besteht also die Relation

(39) ,

oder

.

Im gestrichenen System ist aber die Zeiteinheit des Beobachters in gleich „1“, während die Zeiteinheit des Beobachters in gleich wird. Die beiden Systeme sind vollkommen gleichberechtigt. Man kann also gar nicht von einer Zeitdauer an sich reden. Infolgedessen ist es nicht statthaft, von der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse im absoluten Sinne etwas auszusagen.

Betrachten wir zunächst ein Beispiel.[18] Von einem materiellen Punkt , welcher in einem berechtigten Bezugsystem im Anfangspunkt der Koordinaten ruht, geht zur Zeit ein kurzes Lichtsignal nach allen Seiten aus. Zur Zeit liegen die das Signal empfangenden Punkte auf einer Kugel, von der wir nur den Durchschnittskreis mit der -Ebene in Betracht ziehen wollen. Auf diesem Kreise mögen zwei andere, in ruhende, materielle Punkte und liegen; diese erhalten das Signal demnach gleichzeitig, d. h. für denselben Wert von . 118

Der Punkt empfängt das Signal etwas später. Legen wir aber durch die Punkte und einen Kreis mit dem Mittelpunkt auf der Abszissenachse, so ist das System, in dem das Eintreffen des Lichtsignals in den Punkten und gleichzeitig stattfindet. Dieses System bewegt sich gegen mit der Geschwindigkeit . Ebenso könnten wir ein Bezugsystem bestimmen, in dem die Punkte und gleichzeitig sind.

Wenn aber der Punkt auf einem Grenzkreise liegt, der die -Achse zur Achse hat und die Ordinatenachse im Punkte berührt, so wird die im Halbierungspunkte der Strecke auf diese Strecke errichtete Normale zur -Achse parallel sein. In diesem Falle gibt es kein Bezugssystem, in dem die Punkte und gleichzeitig wären.

Legen wir durch zwei Grenzkreise und , welche die positive bzw. die negative Seite der Abszissenachse zur Achse haben. Jeder Punkt im Innern dieser zwei Grenzkreise kann durch des Bezugssystem als gleichzeitig mit eingerichtet werden. So z. B. der Punkt . Ist der Halbierungspunkt der Strecke , so wird die in auf diese Strecke errichtete Normale die -Achse in endlicher Entfernung schneiden. Liegt auf , so wird die in errichtete Normale zur -Achse parallel sein. Machen wir dieselbe Überlegung für einen Punkt zwischen jenen zwei Grenzkreisen, so wird die im Punkte errichtete Normale von der -Achse divergieren, da ist. Die Punkte auf den Grenzkreisen und im schraffierten Zwischengebiete können mit in keinem Bezugssystem gleichzeitig sein.

Im Raume hätte man analog zwei Grenzkugeln, die durch die Rotation jener Grenzkreise um die -Achse entstehen.

Nach der Relativitätstheorie der optischen Erscheinungen in bewegten Körpern ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum im gestrichenen System ebenso groß wie im ungestrichenen. Dazu breitet sich das Licht in allen berechtigten Bezugssystemen nach allen Richtungen isotrop aus. Für den bewegten Beobachter pflanzt sich die dem Momentsignal entstammende unendlich dünne Lichtwelle als Kugelwelle fort, ebenso wie für den ruhenden. Die Gleichung der Kugel oder des Kreises wird nämlich durch (34) in eine ebensolche Gleichung transformiert. In Weierstraßschen Koordinaten kann man die Gleichung des Kreises schreiben in der Form oder[19]

,

d. h.

(40) ,

wenn man setzt. In einem Punkte legen wir die Tangente an diesen Kreis, und vom Mittelpunkte fällen wir einen zur Tangente normalen Grenzkreisbogen; dann ist die Länge dieses Grenzkreisbogens. Schreiben wir (40) in der Form

,

so geht es infolge von (34) in

über.

An dieser Stelle will ich noch an die Worte Minkowskis erinnern: „Dem Mathematiker, der an Betrachtungen über mehrdimensionale Mannigfaltigkeiten und andererseits an die Begriffsbildungen der sogenannten nichteuklidischen Geometrie gewöhnt ist, kann es keine wesentliche Schwierigkeit bereiten, den Begriff der Zeit an die Verwendung der Lorentz-Transformationen zu adaptieren.”[20] In Zusammenhang mit dem, was F. Klein in seinem Vortrage „Geometrische Grundlagen der Lorentzgruppe“ über Minkowski sagt, erhalten die hervorgehobenen Worte eine tiefere Bedeutung, und es wäre sehr wichtig zu Wissen, ob Minkowski von „seinen bezüglichen inneren Überlegungen”[21] nicht etwas zu Papier gebracht hat?


7. Anwendungen der Transformationsgleichungen auf einige Probleme der Optik. Der Lichtvektor einer im Vakuum sich fortpflanzenden ebenen Lichtwelle sei, auf das System bezogen, proportional zu[22]

wir wollen das schreiben in der Form
(41) .

Mittels der Transformation (35) geht das über in

oder

(42) .

Wir sehen, daß sich und in derselben Form darstellen lassen, nur muß man setzen

(43) ,
(44) ,
(45) .

Berücksichtigt man die Formeln (1) und (6), so erhält man sofort die Einsteinschen Formeln

(46) ,
(47) ,
(48) .

Um diese Beziehungen geometrisch deuten zu können, wollen wir zu den Formeln (43)—(45) zurückgreifen, die wir noch so einrichten werden, daß in ihnen nur Strecken vorkommen werden. Es ist eine großer Vorteil der Lobatschefskijschen Geometrie, daß man in ihr Längen und Winkel durch Größen derselben Art ausdrücken kann, indem man nämlich entweder in allen Gleichungen statt jeder Länge den zugehörigen Parallelwinkel einführt oder statt eines jeden Winkels das Lot , dessen Parallelwinkel ist.[23]

8. Das Dopplersche Prinzip. Aus der Gleichung (43) ersehen wir, welche Frequenz ein längs der -Achse mit der Geschwindigkeit bewegter Beobachter finden wird. Der Lichtstrahl schließt mit der -Achse (im System gemessen) den Winkel ein. Als Parallelwinkel aufgefaßt entspricht diesem Winkel die Strecke , und es besteht sodann die Relation

(49) ,

und (43) geht in

(50)

über, woraus man leicht

(51)

erhält. Nehmen wir zwei äquidistante Linien (Fig. 10) mit der -Achse als gemeinsamen Mittellinie und mit den Parametern . Die Bogen dieser zwei Abstandslinien, die von der -Achse und der Normalen im Punkte der -Achse abgegrenzt werden, sind

.

Es ist also

(52) .

Das Verhältnis der Frequenzen und läßt sich im allgemeinen Falle darstellen als das Verhältnis der Bogen zweier Abstandslinien zwischen gemeinsamen Normalen.

Nehmen wir jetzt an, das Licht komme in der Richtung der -Achse. Dem Parallelwinkel entspricht die Länge , deren hyperbolische Tangente gleich eins ist. Aus (43) erhält man in diesem Falle

oder

(53) .

Für gehen jene Abstandslinien in die Grenzkreise mit den gemeinsamen Achsen über. Der Formel (53) entspricht also die Fig. 11. Das Verhältnis der Frequenzen läßt sich in diesem speziellen Falle darstellen als das Verhältnis zweier Grenzkreisbogen zwischen zwei gemeinsamen Achsen. Aus der Formel (1) folgt

,

und so erhält man den Einsteinschen Ausdruck

(54) .

Aus (53) folgt weiter

.

Für kleine Werte von kann man die höheren Potenzen vernachlässigen; ersetzt man dann noch die Geschwindigkeit durch die reduzierte Geschwindigkeit , so erhält man den Ausdruck für das Dopplersche Prinzip in der gewöhnlichen Mechanik

(55) .

Man beachte, daß im gestrichenen Bezugssystem ist.

In der euklidischen Geometrie reduzieren sich die Abstandslinien und die Grenzkreise auf Parallelen zur gegebenen Geraden. Den Ausdruck (55) kann man leicht graphisch versinnlichen mittels der Abschnitte paralleler Transversalen zwischen den Schenkeln eines Winkels, denn es besteht die Relation .


9. Die Aberration. Im gestrichenen System schließt der genommene Lichtstrahl den Winkel mit der -Achse. Bezeichnet man mit die Strecke, die dem Parallelwinkel entspricht, so geht (47) über in die Gleichung

,

oder

(56) .

Auf Grund dieser Aberrationsgleichung haben wir folgende Konstruktion des abgelenkten Lichtstrahles. Der Lichtstrahl , von einer unendlich fernen Lichtquelle kommend, treffe die -Achse im Punkte unter dem spitzen Winkel . Macht man , so ist . Man trage dann im Sinne der wachsenden Abszissen die Strecke ab und ziehe von aus die Lobatschefskijsche Parallele zu . Diese Parallele schließt mit der -Achse den Winkel ein, denn es ist . Ist , also , so wird und der Winkel geht in sein Supplement über. Der abgelenkte Lichtstrahl ist .

Die Konstruktion der verlangten Parallele ist in Fig. 13 folgendermaßen ausgeführt.[24] Es sei . Von aus fällen wir auf das Lot , errichten sodann auf in das Lot , nehmen ferner auf die Strecke gleich der absoluten Einheitsstrecke unseres Lobatschefskijschen Raumes und fällen von aus auf das Lot . Machen wir noch , so wird parallel zu im Lobatschefskijschen Sinne, und diese Parallele schließt mit der -Achse den Winkel ein.

Da der Punkt immer zwischen und zu liegen kommt, so ersieht man leicht aus der Figur, daß in der Relativtheorie kleiner als der gewöhnlichen Mechanik ist.

In der Einsteinschen Formel (47) für die Aberration drücken wir die auf der linken Seite und im Zähler des Bruches auf der rechten Seite vorkommenden Kosinusse durch entsprechende Sinusse aus, quadrieren dann und erhalten so nach einigen Umformungen

(57)

Bei der Bewegung der Erde in ihrer Bahn relativ zum Fixsternhimmel als Bezugssystem ist . Für so kleine Geschwindigkeit kann man vernachlässigen, um dann annähernd

(58)
zu erhalten. Dividiert man diese Formel durch (47), so erhält man
,

woraus man in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Theorie die Formel

(59)

leicht findet. Man hat aber dann in der Figur statt zu nehmen und statt .

Wir wollen hier noch einen anderen Ausdruck für die Aberration geben, den Plummer auf zwei Arten geometrisch interpretiert hat.[25] Aus (56) folgt

;

nach der Relation, die zwischen dem Lote und dem entsprechenden Parallelwinkel besteht, kann man dies schreiben in der Form

(60) .


10. Die Reflexion des Lichtes am bewegten Spiegel. Die Koordinatenebene sei ein vollkommener Spiegel. Der an die reflektierende Koordinatenebene im Punkte einfallende Lichtstrahl sei bestimmt durch die Amplitude , den Winkel und die Frequenz . Diese Größen sind auf das ruhende System bezogen. Der Spiegel bewege sich mit der Geschwindigkeit in der Richtung der positiven Abszissenachse des ruhenden Bezugsystems.

Statt des Parallelwinkels wollen wir die ihm entsprechende Strecke in Betracht ziehen. Im gestrichenen System entspricht ihr nach (56) die Strecke

.

Dem Parallelwinkel des reflektierten Strahles entspricht die Strecke

(61) .

Im gestrichenen System schließt nämlich der einfallende Strahl mit der -Achse den Winkel ein; nach der Reflexion aber den Winkel . Nach der Definition des Parallelwinkels für negative Lote entspricht dem Winkel das Lot , wenn dem supplementären Winkel das Lot entspricht. Berücksichtigen wir die Aberrationsgleichung (56), so ersehen wir, daß dem in ruhenden Beobachter die Strecke um vergrößert erscheinen wird. So kommen wir endlich zur Gleichung

(62) ,

aus der wir ersehen können, daß für den in ruhenden Beobachter der Strahl unter dem Winkel

(63)

reflektiert wird. Aus Fig. 14 ist die Konstruktion des reflektierten Strahles nach der Formel (62) leicht ersichtlich. Bei der Konstruktion ist es vorteilhaft, den zu supplementären Winkel zu Hilfe zu nehmen. In Welchem Verhältnisse der Winkel zu stehen wird, hängt von der Richtung der Bewegung des Spiegels relativ zur Lichtquelle ab. In dem betrachteten Falle ist , da zum kleineren Lote als Parallelwinkel zugeordnet ist.

Wir können jetzt sehr einfach zu den Einsteinschen Formeln übergehen. Nach (62) ist

,

oder

(64) .

Statt der hyperbolischen Funktionen der Lote und führen wir die Kreisfunktionen der entsprechenden Parallelwinkel, ersetzen noch durch und kommen so zu der Formel von Einstein[26]

(65)

In der nichteuklidischen Interpretation wird sie aber durch die viel einfacheren Formeln (62) oder (63) vollkommen ersetzt.

Nach (51) und (62) kann man für die Frequenz des reflektierten Lichtstrahles die Formel

(66)
aufstellen. Hieraus folgt
,

oder

(67) .

Indem wir die Parallelwinkel einführen, erhalten wir den Einsteinschen Ausdruck

(68) ,

denn ebenso wie die Frequenzen werden auch die Amplituden transformiert. Fig. 15 ist das geometrische Bild der Formel (66).

Die Verhältnisse der Amplituden und der Frequenzen des einfallenden und des reflektierten Lichtes lassen sich darstellen durch das Verhältnis der Bogen zweier Abstandslinien zwischen gemeinsamen Normalen. Die Parameter dieser Abstandslinien sind . Man ersieht leicht, daß man durch Spiegelung von auf erhält. Ebenso läßt sich der Winkel durch Spiegelung des einfallenden Strahles an dem aberrierten Strahle bestimmen.

Für einen senkrecht einfallenden Lichtstrahl haben wir , also , und die Formel (66) geht über in

(69)

Das Verhältnis der Frequenzen und der Amplituden läßt sich in diesem Falle als das Verhältnis zweier koaxialer Grenzkreisbogen darstellen. Die entsprechende Figur wäre dieselbe wie Fig. 11, nur hätte man zu nehmen.

Die Formel (51) für das Dopplersche Prinzip und die Aberrationsgleichung (56) sind von demselben Bau wie die Formel (66) für die Frequenz und die Amplitude und die Formel (62) für den Reflexionswinkel des am bewegten Spiegel reflektierten Lichtes. Daraus folgt, daß derselbe Lichtstrahl einem mit der doppelten Geschwindigkeit bewegten Beobachter ebenso beschaffen erscheint, wie er einem ruhenden Beobachter nach der Reflexion an einem mit der Geschwindigkeit bewegten Spiegel erscheinen würde. In beiden Fällen muß die Bewegung von derselben Richtung sein. Demnach können wir die Gesetze für die Reflexion des Lichtes an einem bewegten Spiegel erhalten, indem wir in den Formeln (34) durch ersetzen. Da sich aber das Bild auf der dem Gegenstand entgegengesetzten Seite der Ebene befindet, so hat man noch statt zu nehmen, d. h. man hat den Lichtvektor der Transformation

(70)

zu unterwerfen. Nun folgt aus (1)

,

und die vorhergehenden Gleichungen gehen über in

(71)

H. Bateman[27] hat die Gesetze der Reflexion am bewegten Spiegel abgeleitet auf Grund der Voraussetzung: das Bild eines Gegenstandes entstehe eben durch diese Raum-Zeittransformation (71).

Der Reflexionswinkel läßt sich beim bewegten Spiegel auf dieselbe Art bestimmen wie beim ruhenden mittels der Konstruktion auf Grund des Huyghensschen Prinzips. Ich erwähne nur die betreffenden Ausführungen Von W. M. Hicks[28] und E. Kohl[29], die sie bei der Untersuchung des Michelson-Morleyschen Versuches angestellt haben. Aus unserer Figur 14 ersehen wir, daß ist, oder , wenn wir das dem Winkel entsprechende Lot mit bezeichnen. Daraus folgt oder

(72) .

Dies ist die Formel von Hicks. Er nimmt aber als positiv an, wenn sich der Spiegel den einfallenden Strahlen entgegen bewegt. In seiner Formel (1) haben wir also negativ zu nehmen, um sie in Einklang mit unseren Festsetzungen zu bringen.[30] Entsprechend hat man auch seine Figur abzuändern.

Anmerkungen

  1. G. N. Lewis, A revision of the fundamental laws of matter and energy. Phil. mag., XVI, 1908, 709.
  2. Separatabdruck aus den Sitzungsberichten der Physikal. med. Gesellschaft zu Würzburg. Jahrgang 1909.
  3. Planck, Acht Vorlesungen über theoretische Physik, S. 117.
  4. Erschienen im Rad jugoslavenske akademije 169, 110–194, 1907,
  5. A. Sommerfeld, Über die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten in der Relativtheorie. Physikalische Zeitschrift, 10, 828, 1909.
  6. Physikalische Zeitschrift 11, 93, 287, 586. 1910.
  7. Sitzungsberichte der k. serbischen Akademie zu Belgrad, 88, 1911.
  8. Norman Campbell‚ On the common sense of relativity, Phil. Mag.‚ 1911, I, 508 sagt: it is the fact that the second part of the Second Postulate proposes to represent the physically infinite velocity by a mathematically finite number which causes surprises. ... physical and mathematical infinity could be easily brought into agreement by a change of definition. This line of thought will be developed in a latter paper. Ob Campbell sein Vorhaben ausgeführt hat, ist mir nicht bekannt. In der Physik. Zeitschrift, XIII, 1912, 128. am Schluß seiner Entgegnung an Herrn Wiechert meint Campbell aber, daß eine solche ‚Definition‘ äußerst kompliziert werden würde.“
  9. H. Minkowski, Zwei Abhandlungen über die Grundgleichungen der Elektrodynamik, 1910, S. 10, Formel 2.
  10. G. Herglotz, Über den vom Standpunkt des Relativitätsprinzips aus als „starr“ zu bezeichnenden Körper. Ann. d. Phys. 31, 404, 1910.
  11. Alfred A. Robb, Optical geometry of motion; a new view of the theory of relativity. Cambridge 1911. Sein Vorwort ist datiert am 13. Mai 1911. Meine diesbezüglichen Untersuchungen sind erschienen in der Physikalischen Zeitschrift vom 1. Februar und 1. April 1910. Auch meine erwähnte serbische Abhandlung ist mit Ende des Jahres 1910 fertiggestellt worden.
  12. H. Liebmann, Nichteuklidische Geometrie, S. 149.
  13. A. Brill, Vorlesungen zur Einführung in die Mechanik, 204.
  14. v. Mangoldt, Längen und Zeitmessung in der Relativitätstheorie. Phys. Zeitschr. 11, 737, 1910.
  15. F. Engel, Nikolaj Iwanowitsch Lobatschefskij. Zwei geometrische Abhandlungen, 1898, S.347.
  16. Über die Transformationen der Lobatschefskijschen Ebene siehe meine diesbezüglichen Arbeiten im Rad jugoslavenske akademije 165, 50-80, 236-244, 1906, oder den kurzen Auszug daraus im Jahresber. d. Deutsch. Mathematiker-Ver. 17, 80-83, 1908.
  17. H. Liebmann, Nichteuklidische Geometrie. 172.
  18. M. Laue, Das Relativitätsprinzip, 1911, 35. M. Planck, Acht Vorlesungen über theoretische Physik. 1910. 118.
  19. H. Liebmann, Nichteuklidische Geometrie, 1905, 172.
  20. H. Minkowski, Zwei Abhandlungen über die Grundgleichungen der Elektrodynamik, 1910, 19.
  21. Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, XIX, 1910, 299.
  22. A. Einstein‚ Über das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen. Jahrb. d. Radioaktivität und Elektronik, 4, 1907, 424.
  23. Näheres darüber bei F. Engel, Nikolaj Iwanowitsch Lobatschefskij. Zwei geometrische Abhandlungen, 1898, 244.
  24. Lobatschefskij-Engel, Zwei geometrische Abhandlungen, 256.
  25. H. C. Plummer, On the theory of Aberration und the Principle of Relativity. Monthly notices of the royal astronomieal society, XX, 1910, 269.
  26. Annalen der Physik, 17, 1905, 915.
  27. H. Bateman, The reflexion of light at an ideal plane mirror moving with a uniform velocity of translation. Phil. Mag. 18, 892, 1909.
  28. Phil. Mag. 3, 1902, 15.
  29. Ann. d. Phys. 28, 1909, 262.
  30. Siehe auch Laue, Das Relativitätsprinzip, 93.